ShauniSan
Zwischen Himmel und Hölle

Kapitel 1: Der Riss

Ich bin Lucifer. Einer der alten, geformt aus Schatten und Flammen, geschaffen, um zu dienen, zu lehren und zu wachen. Ich bin ein Kater von stattlicher Statur, mit Augen, die das Glimmen der Hölle in sich tragen, und einer Stimme, die schon vielen in den Abgrund gefolgt ist. Doch meine wichtigste Aufgabe ist nicht die Folter oder die Strafe. Meine wichtigste Aufgabe ist sie.
Shauni.
Eine Katzendämonin, geformt aus Chaos, erzogen von Lillith, geschickt, um Seelen zu zerbrechen.
Und Shauni war gut darin. Für sie gab es nur Gut oder Böse. Jede Seele, die in die Hölle kam, war schlecht und hatte kein Recht darauf überhaupt zu existieren. Ihr war es eine Freude die Seelen zu foltern und niederzustrecken, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie war gut in ihrem Handwerk- in dem, wozu Lilith sie erzogen hatte. Es machte ihr Spaß, dieses Handwerk. Ihr rotes Auge funkelte vor Freude bei dem Gedanken an die Folter. Shauni war der Meinung, jeder der hierher zu ihr kam, hatte diese Folter verdient. So dachte sie jedenfalls…
Doch in ihr steckt mehr als das, und das wusste ich, lange bevor sie es selbst erkannte. Vielleicht war es ihre Neugier, vielleicht war es das Flackern von Mitgefühl, das sich zwischen den lodernden Flammen ihrer Aufgabe verbarg. Aber dieses Gefühl kannte die Dämonin nicht. Es war keines der Emotionen, die Lilith sie gelehrt hatte.
Doch ich wusste, dass der Tag kommen würde, an dem sie Fragen stellen würde.
Und als dieser Tag kam, war ich bereit.
Wir standen in einer der vielen Hallen des ewigen Feuers. Der Boden war mit zerborstenen Erinnerungen bedeckt, in der Luft lag das Echo vergangener Schreie. Vor uns kniete eine Seele. Eine von vielen. Ein Mann, alt, mit einem Blick, der nicht um Gnade flehte. Seine Augen waren fest, sein Körper zitterte nicht. Shauni stand vor ihm, ihre Klauen bereit, ihr Schweif peitschte in der Luft.
Doch sie bewegte sich nicht.
"Was ist los?" fragte ich, meine Stimme ein leises Grollen.
"Er weint nicht, er bettelt auch nicht, oder geschweige denn schreit er…" antwortete sie, als wäre das ein Problem. Als wäre das falsch.
Ich trat neben sie, betrachtete die Seele genauer. "Nicht alle weinen," sagte ich ruhig. "Manche haben sich mit ihrem Schicksal abgefunden. Manche erkennen, dass sie es verdient haben. Und manche… haben vielleicht nie wirklich verstanden, warum sie hier sind."
Ihre Ohren zuckten. "Was maßt er sich an meine Mühen nicht zu würdigen! So eine niedere Kreatur erlaubt es sich mich nicht ernst zu nehmen!" Ihre Stimme war leise, fast ein Flüstern.
Ich sah sie lange an. "Anmaßend? Shauni, wir sind in der Hölle. Diese Seele hat sich einfach damit abgefunden hier zu sein. Sie weiß das sie es verdient hat.
Doch ihre Augen blieben auf der Seele haften, und zum ersten Mal sah ich es klar:
Zweifel.

Kapitel 2: Die Zweifel

Seit diesem Tag war nichts mehr, wie es war. Sie war langsamer. Nachdenklicher. Sie sprach mit den Seelen, anstatt sie zu foltern. Natürlich nur mit denen, die nicht in Shaunis „System“ passten. Die nicht so reagierten wie die Dämonin es gelernt hatte. Sie stellte Fragen, die sie niemals zuvor gestellt hatte.
"Warum bist du hier?" fragte sie einen.
"Bereust du es?" fragte sie einen anderen.
"Hättest du es anders gemacht, wenn du gekonnt hättest?"
Ich beobachtete sie schweigend. Sie wusste nicht, dass ich sie sah, wie sie mit jedem Tag anders wurde. Sie wollte es nicht wahrhaben, aber sie begann, das System infrage zu stellen, dem sie einst so eifrig diente. Sie hörte den Geschichten der Seelen zu, spürte ihr Leid, ihre Angst, und irgendwann begann es, an ihr zu haften. An ihr, nicht an ihnen.
Lillith bemerkte es natürlich. Ihre Blicke wurden kühler, ihre Anweisungen strenger. Doch sie sagte nichts. Noch nicht. Sie wartete ab.
Und ich wartete ebenfalls.
"Lucifer?" Ihre Stimme holte mich aus meinen Gedanken. Ich drehte mich zu ihr um, fand sie auf einem der schwarzen Steine sitzend, ihren Blick in die Leere gerichtet. "Was ist jenseits der Hölle?"
Ich setzte mich neben sie, mein Schweif ruhig. "Die Oberwelt. Die Menschenwelt."
"Und ist sie besser als das hier?"
Ich dachte nach. "Sie ist anders. Nicht besser, nicht schlechter. Dort gibt es Licht, aber auch Dunkelheit. Menschen können grausam sein, aber auch voller Liebe. Sie sind unberechenbar."
Sie sah mich an. "Glaubst du, dass es dort Hoffnung gibt?"
Ich nickte langsam. "Hoffnung ist das, was uns von den Verdammten unterscheidet. Und du, Shauni, du beginnst zu hoffen."
„Ich weiß da ist es etwas. Es hindert mich an meiner Arbeit Lucifer. Doch ich kann dieses ES nicht ausfindig machen, nicht eliminieren oder zum Schweigen bringen…“, erwiderte sie mit einer gewissen Kühlheit und Berechenbarkeit in der Stimme.
Die Hoffnung nach etwas Neuem, nach einer anderen Art der Bestimmung war es, an die Shauni heimlich zu glauben vermochte.
Nach all den Jahrtausenden als Waffe, bekam die kühle immer nach Hass und Gerechtigkeit handelnde Shauni einen Riss in ihren Vorstellungen. Ein kleiner Kern von Mitgefühl keimte in ihren Herzen heran. Sie würde es sich natürlich nie anmerken lassen, denn sie wusste es selbst noch nicht. Die Dämonin konnte nicht deuten, was es war.
Ich schon. Ein neues Empfinden bahnte sich seinen Weg in Shaunis Kopf. Und egal wie hasserfüllt sie war, und wie stark ihr Gerechtigkeitssinn auch sein konnte, kam kein Gefühl der Welt jemals gegen Mitgefühl und Hoffnung an. Das wusste ich und Lilith selbst besser als jeder andere…

Kapitel 3: Der Aufstieg

Die Entscheidung fiel nicht ohne ein letztes Gespräch mit Lillith. Die Dunkle Herrin saß auf ihrem Thron aus gefallenen Versprechen, die Augen kühl, doch nicht kalt. Ich saß zu ihren Füßen, meine Schweifspitze zuckte leicht. Shauni stand vor ihr, die Schultern gerade, doch ihr Herz schlug schneller, als sie zugeben wollte.
"Du willst gehen," stellte Lillith fest. Kein Vorwurf, nur eine Tatsache.
"Ja," antwortete Shauni mit entschlossener Stimme, welche ein leichtes Zittern verbarg.
Lilliths Augen verengten sich kaum merklich. "Nach all den Jahren? Nach allem, was ich dir gegeben habe?"
Ich sah, wie Shauni schluckte. "Ich... Ich muss es sehen. Ich muss wissen, ob es mehr gibt."
Stille. Dann sprach Lillith mit einer Stimme, die süßer war als Gift. "Mehr? Als was? Als ewige Macht? Als unerschütterliche Sicherheit? Was suchst du da oben, dass du hier nicht finden kannst?"
Shauni schwieg, doch ihre Augen brannten mit etwas, das selbst Lillith nicht einfach ersticken konnte. "Ich weiß es nicht. Aber ich muss es herausfinden."
Lillith lehnte sich zurück und betrachtete sie lange. Dann glitt ihr Blick zu mir. "Und du?"
Ich zuckte mit den Ohren. "Sie braucht jemanden, der auf sie aufpasst. Und ganz ehrlich? Ich glaube das wird unterhaltsam."
Lillith schnaubte leise. "Natürlich. Immerhin kann ich sie nicht einfach ziehen lassen, ohne eine gewisse... Absicherung."
Sie stand auf und trat auf Shauni zu. Für einen Moment war sie nicht die Königin der Verdammten, sondern etwas anderes. Etwas Mütterliches. Sie hob eine Hand und berührte Shaunis Wange, sanft, doch mit einer Schwere, die das gesamte Gewicht der Hölle trug.
"Lass dich nicht brechen," sagte sie leise. "Wenn du zurückkommst, dann, als das, was du bist – oder gar nicht."
Shauni nickte, ihr Blick entschlossen. "Ich verstehe."
"Das hoffe ich." Lillith trat zurück, die Maske der Herrscherin glitt wieder über ihr Gesicht. "Nun geh. Und lass mich nicht bereuen, dass ich dich je geliebt habe."
Und so traten wir hinaus.
Der Weg zur Oberwelt war hell, fast blendend, doch sie zögerte nicht. Ich blieb an ihrer Seite, ihr Schatten, ihr Begleiter, ihr Lehrer.
Und so begann etwas Neues.
Etwas, das sich in der Zukunft als richtig oder als Fehler herausstellen könnte.
Doch das war eine Geschichte für einen anderen Tag.